Wer heute Geschlechterstudien zum Recht betreibt, sich mit Diversity und Recht beschäftigt, Gender Mainstreaming auch juristisch reflektiert, Antidksiminierungsrecht theoretisiert oder Gleichstellungsrecht konzipiert, bewegt sich in den Pfaden feministischer Rechtswissenschaft. Es ist nicht in jeder Situation klug, das so zu nennen. Es ist aber oft feige und wissenschaftlich unlauter, es nicht zu tun. Zudem ist es keineswegs ein Rückfall in essentialistische, Weiße privilegierende oder sonst ignorante Zeiten, feministisch zu arbeiten. Der Rekurs auf eine feministische Position baut vielmehr, um mit der postkolonialen Theoretikerin Gayatri Spivak zu sprechen, auf einen „strategischen Essentialismus“, stellt also bewusst eine Kategorisierung und Perspektive in den Vordergrund, behauptet damit gerade nicht automatisch, es gebe ‚die Frauen‘ oder ‚die Männer‘ als uniforme Gruppen einheitlicher Existenzweisen.

Susanne Baer: Entwicklung und Stand feministischer Rechtswissenschaft in Deutschland, in: Beate Rudolf (Hg.), Geschlecht im Recht. Eine fortbestehende Herausforderung, 2009, S. 35.


Die Juristenausbildung gleicht, wie mir einmal Professor Redslob, der erste Rektor der FU und keineswegs ein fortschrittlicher, sagte, der Dressur von Zirkusflöhen. Die werden nämlich, nachdem man sie gefangen hat, in eine Zigarrenkiste gesperrt, auf die man eine Glasscheibe legt. Wenn die Flöhe versuchen, aus der Kiste zu hüpfen, stoßen sie sich an der Scheibe. Nach einiger Zeit lernen sie, wie hoch sie springen können, ohne sich zu stoßen. Wenn man jetzt die Scheibe abnimmt, haben sie sich abgewöhnt, aus der Kiste zu springen. Dieser Vorgang wird in immer niedrigeren Kisten wiederholt, bis die Flöhe dann gelernt haben, dass sie überhaupt nicht mehr springen können. Wenn sie dann gelernt haben, sich nur noch kriechend fortzubewegen, ist ihre Ausbildung für der Flohzirkus abgeschlossen. Bezogen auf die Juristen ist dies etwa der Zeitpunkt des Assessorexamens. Während der gesamten Ausbildung wird den Juristen jeder Mut zu schöpferischem Denken ausgetrieben und sie erkennen sehr bald, dass ihnen zusätzliche Kenntnisse von sozialpsychologischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Zusammenhängen in der juristischen Arbeit nur hinderlich sind. Man hat keine Chance, sich mit diesem Wissen gegenüber den eingesessenen Juristen durchzusetzen.

(Klaus Eschen, Vor den Schranken, Kursbuch 40, 1975, S. 104).


Das aktuelle Tagesgeschehen macht es nicht immer leicht Themen möglichst objektiv zu beleuchten. Mit völligem Unverständnis nahm ich gestern die Fotos der schönsten Nationalspielerinnen Deutschlands im aktuellen Playboy sowie den expert Frauenfußball-WM 2011 Werbespot wahr. Mein erster Reflex: diese Form der (Selbst)Darstellung steht im Widerspruch zur Anerkennung des Frauenfußballs sowie einer damit verbundenen Gleichberechtigung auf unterschiedlichen Ebenen.

Aber warum ist die objektive Betrachtung unterschiedlicher Ebenen so wichtig? An Fußball kommt niemand vorbei. Die Berichterstattungen dominieren gerade in Zeiten von Europa- und Weltmeisterschaften. Selbst wenn mensch sich nicht dafür interessiert, wird nicht zuletzt das ‚Nationalbewusstsein‘ angesprochen und der ‚Kampf um den Titel für Deutschland‘ begleitet. In Stadien, vor Großbildleinwänden, Fernsehgeräten oder durch andere Medien werden Massen von Menschen bewegt; Menschen die umgekehrt aber ebenso auch erreicht werden können.

Der Fußballsport bietet in all dem Raum für die Inszenierung des Geschlechts. Als „typische Männersportart“ verstanden, setzt diese „richtiges Mannsein“ voraus. Homosexualität hat darin nichts zu suchen. Der schwule Fußballspieler bleibt tabuisiert und nach wie vor unsichtbar. Dass das „Frausein“ ebenfalls nichts im Fußball zu suchen hat, wird durch das Bild bestätigt mit welchem sich weibliche Fußballspielerinnen konfrontiert sehen – „das Mannweib“ und damit abgesprochener „Weiblichkeit“ verbunden mit der Vorannahme, dass alle Spielerinnen lesbisch seien. Nun wäre es doch irgendwie angebracht diese Zusammenhänge sichtbar zu hinterfragen und das im Sport dominierende dualistische Geschlechterrollenbild aufzubrechen.

Es stellt sich also die Frage wie mensch Diskriminierungsmechanismen gerecht werden kann und so zu einer gesellschaftlichen Veränderung beiträgt. Ich spreche jedenfalls dem Sport nicht das Potenzial ab zur Veränderung von Geschlechterbildern und -verhältnissen beitragen zu können. Was aber passiert im Rahmen der Frauenfußball-WM bisher? Der Spielzeughersteller Mattel stellt Fußball-Barbies her, die Nationalspielerinnen werben für Kosmetika, Bilderstrecken lassen sich unter dem Titel „So gefällt uns Frauenfußball!“ im Playboy finden und die ZEIT ONLINE klärt in dem Beitrag „Was Sie schon immer über Frauenfußball wissen wollten“, ob alle Fußballspielerinnen homosexuell sind. Mal von anderen Berichterstattungen ganz zu schweigen. Ist das ein angemessener Weg um Geschlechterbildern entgegenzutreten und Vielfalt im Fußball zu fördern?

Es ist mir gleichgültig, ob die Fotos im Playboy im Zusammenhang mit einer Werbestrategie stehen oder auf eine selbstbestimmte Entscheidung der Abgebildeten zurückzuführen sind. Jedenfalls reihen sie sich in ein Weiblichkeitsbild ein, das von lebensferner Anatomie, Herausstellung von Brüsten und Zwangsheterosexualität gekennzeichnet ist. Mit Blick auf viele und vielfältige Lebensentwürfe junger Menschen liegt es nicht fern dies als ein Beispiel für geschlechterpolitischen Rückschritt anzuführen.

Jemand sagte mal zu mir, das sei mit einem Pendel vergleichbar. Mensch hält es auf einer Seite fest und wenn es losgelassen wird, schlägt es erst einmal steil zur anderen Seite aus bis es sich dann irgendwann mittig einfindet. Tja, das ist schön für das Pendel bzw. die übersteigerte feminine Visualität von Spielerinnen – bei diesem Thema habe ich allerdings gerade keine Ausdauer auf den Zeitpunkt des Mittelmaßes zu warten. Der scheint mir nämlich in den Hintergrund gerückt. Es regt auf. Zu sehen und zu lesen wie mit Vielfalt im Fußball der Imagepflege wegen umgegangen wird. Mir wäre dann eine Fußballwelt frei von Geschlechterrollenbildern und Diskriminierung, die Homophobie, Rassismus und Sexismus auch schon in der Berichterstattung und anderen Darstellungsformen benennt und eine klare Absage erteilt doch um einiges lieber.

Denn letztendlich sollte es doch nun wirklich egal sein, wer das verdammte Tor macht!

Im Übrigen – wirklich nicht schlecht >> Lira Bajramaj im Nike Werbespot
Publikationshinweis: Degele, Nina/Janz, Caroline: Hetero, weiß, männlich? Fußball ist viel mehr! Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball, 2011 – Insbesondere die acht Perspektiven für politische und strukturelle Maßnahmen ab S. 48.


Endlich einen Beitrag (Fall Kachelmann: Vergewaltigung ist mit Objektivität nicht beizukommen) zu lesen, der sich reflektiert mit dem Ausgang und den Auswirkungen des Kachelmann-Prozesses befasst, führt wie ich gestern und heute wieder einmal eines besseren belehrt wurde zu Kommentaren, die sich im Bereich des Kopfschüttelns bewegen und sich in das sonst und größtenteils überall in den letzten Tagen zu lesende einreihen. Traurig bin ich, dass sich die Moderator_innen der Mädchenmannschaft dafür entschieden haben, die Diskussion weiterhin geschlossen zu lassen. Nachvollziehen kann ich es dennoch (siehe Begründung).

Auch gestern berührte mich die Diskussion, so dass ich nun hier meinen Kommentar, der mir wichtig ist, veröffentliche:

@LWK (<- selbstverständlich geändert)

Neben der Legislative reduziert auch die Rechtsprechung aber vor allem die Wissenschaft ihre Wirkung und Analyse eben gerade nicht lediglich auf die Bestätigung des Status Quo, sondern erweitert sie auf Rechtsfortbildung und Weiterentwicklung von Recht. Die Tatsache, dass sich ständig veränderndes Leben in einer immer komplexer werdenden Welt nicht ganz so einfach unter festgeschriebene Tatbestandsmerkmale subsumieren lässt, fällt nicht nur den Richter_innen des BVerfG, EuGH oder EGMR auf, sondern auch vielen anderen Menschen, die sich umfassend mit Recht beschäftigen. Schließlich müssen die konkreten Einzelfälle dort auch erst einmal hinkommen. Mich dagegen regen vielmehr die ewigen Parolen auf, das Recht habe kein Potenzial zu gesellschaftlicher Signalwirkung oder Recht könne nur die bestehenden Verhältnisse abbilden oder aber gesellschaftlicher Wandel habe im Rechtsprozess nichts zu suchen. Dem ist nicht so. Im Übrigen ist die Argumentation von @Maria alles andere als nur durchaus überzeugend.

Viel wichtiger ist allerdings die – wie du sie benennst – gewisse kritische Masse von Befürworter_innen solcher Positionen, die wie ich finde besser beschrieben ist als eine unbestimmte Anzahl von Menschen, die sich Gedanken über gesellschaftliche Realitäten und Machtverhältnisse (nicht ausschließlich außerhalb von Gerichten) machen und diese dabei entstehenden Denkprozesse dann nach außen sichtbar vertreten und so zu einem öffentlichen Diskurs und letztlich Veränderung beitragen. Das erfordert Mut und verdient Respekt und keinesfalls

@insgesamt

ein Bashing, was sich schlimmstenfalls gegen einzelne Personen oder mutwillig falsch verstandene Sätze richtet. Kaum etwas habe ich in den letzten zwei Tagen gelesen was es so sehr trifft:

Ob in Sachen Vergewaltigung in Zukunft Recht und Gerechtigkeit vorherrscht, geht nicht nur Gerichte, Prozessbeteiligte und Journalist_innen etwas an. Sexualisierte Gewalt ist dabei keine Frage objektiver Beurteilung und sollte nicht allein auf dem Feld sexpositiver Debatten erfolgen. Eine öffentlich geführte und auf Sensibilisierung ausgelegte Auseinandersetzung mit rape culture wäre ein Anfang.

Hier geht es doch nicht um eine von Feminist_innen propagierte Abkehr vom Rechtsstaat und der Unschuldsvermutung. Ganz im Gegenteil! Es geht um Bewusstseinsschaffung von Verhaltensweisen und Alltagspraxen insgesamt und daran anknüpfend Berichterstattungen bis hin zu Gerichtsprozessen in die Menschen involviert sind deren prüfender Blick nicht zuletzt auf sich selbst gerichtet sein sollte, um fortbestehende und fest verankerte Vergewaltigungs- und Sexualitätsmythen sowie Geschlechterstereotype zu hinterfragen und gegebenenfalls zu überwinden und so eine möglichst neutrale Entscheidungsgrundlage zu schaffen.

Dennoch sind es zwei unterschiedliche Ebenen auf die besonderes Augenmerk gerichtet sein sollte. Die eine Ebene beschreibt das Spannungsverhältnis von Justiz und Medien. Nicht erst bedingt durch den Kachelmann-Prozess wird das Thema Einfluss der Medien auf die Justiz und der Justiz auf die Medien intensiv diskutiert. Artikel, Podiumsdiskussionen und Tagungen beschäftigen sich mit der aus den Vereinten Staaten stammenden strategischen Rechtskommunikation und dem neu aufgetauchten Begriff der Litigation-PR schon seit längerem. Dabei geht es um die Rolle der Medienanwält_innen, die oft mit umstrittenen Mitteln versuchen, bestimmte Berichterstattungen zu verhindern oder zu fördern und dabei Einschüchterungen durch hohe Streitwerte in Kauf nehmen. In Diskussion steht aber auch das Recht sprechen im Schatten der prozessbegleitenden Öffentlichkeitsarbeit und die Frage der Verortung der Staatsanwaltschaft, die ebenfalls unangemessen Auskünfte in laufenden Verfahren erteilt. Es gilt die Frage zu klären wie auf die aufkommende Litigation-PR zu reagieren ist.

Die Art und Weise der Berichterstattung als zweite Ebene tritt dadurch umso mehr in den Vordergrund und die Verbreitung von Sexismus aber auch Rassismus nicht zuletzt am Beispiel des orientalisierten Diskurses zu Hass und Gewalt verdeutlicht erhält eine neue Dimension und Wichtigkeit. Das Beispiel Kachelmann nach Beendigung des Strafprozesses aufzugreifen und wichtige abstrakte Fragen zur Diskussion zu stellen, ist wenn es um Vergewaltigung und Objektivität geht mehr als sinnvoll und notwendig. Dabei erhebt sich niemand und möchte Kachelmann unter den gegebenen Umständen im Knast sehen. Natürlich ist der Strafprozess kein politisches Forum. Was ein Strafprozess aber ebenso wenig bieten darf, ist Raum für eine mediale Spielwiese. Um der Gefahr zu entkommen, dass in dubio pro reo künftig zu in dubio pro media verkommt, bedarf es noch vieler solcher lesenwerter Beiträge wie den obigen, die sich mit Fragen einer angemessenen (Be)Urteilung sexueller Gewalt und deren Auswirkungen befassen. Danke dafür @Nadine

Darüber hinaus werde ich auch hier keine weitere Diskussion über bestimmte Inhalte führen und bestimmte Kommentare – falls sie denn kommen sollten – erst gar nicht freischalten.


Menschen jubeln nach dem Tod des Terroristenführers Osama bin Laden. Osama bin Laden als das personifizierte Böse. Der vermeintliche Sieg über das Böse lässt das Gute hervortreten. Oder etwa nicht?

Mein Entweder/Oder bezeichnet zuallernächst nicht die Wahl zwischen Gut und Böse, es bezeichnet jene Wahl, mit der man Gut und Böse wählt, oder Gut und Böse abtut. […] Mithin: was durch mein Entweder/Oder in Erscheinung tritt, ist das Ethische. Es ist daher noch nicht die Rede davon, daß man Etwas wähle, sondern von der Realität, welche das Wählen als solches hat. […] Durch diese Wahl wähle ich eigentlich nicht zwischen Gut und Böse, sondern ich wähle das Gute; indem ich aber das Gute wähle, wähle ich eben damit die Wahl zwischen Gut und Böse. Die ursprüngliche Wahl ist ständig zugegen in einer jeden folgenden Wahl.

(Kierkegaard, Entweder-Oder Bd. 2, S. 180, 188, 232 f.)

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein Guter Wille. Verstand, Witz, Urteilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze als Eigenschaften des Temperaments sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesem Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist.

(Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 28 f.)

Ein ursprüngliches, sozusagen natürliches Unterscheidungsvermögen für Gut und Böse darf man ablehnen. Das Böse ist oft gar nicht das dem Ich Schädliche oder Gefährliche, im Gegenteil auch etwas, was ihm erwünscht ist, ihm Vergnügen bereitet. Darin zeigt sich also fremder Einfluß; dieser bestimmt, was Gut und Böse heißen soll. […] Das Böse ist also anfänglich dasjenige, wofür man mit Liebesverlust bedroht wird; aus Angst vor diesem Verlust muß man es vermeiden.

(Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 163 f.)


Gestern in einem Taxi irgendwo in Berlin kommentierte ich mit schielenden Augen und vehementer Ablehnung auf die Frage meiner Begleitung, ob ich das Hochzeitsgeschehen um Kate und William denn auch mitverfolgt hätte. Kaum hatte ich begonnen, drehte sich der Taxifahrer um und berichtete mit strahlenden Augen von der traumhaften Hochzeit, deren Schönheit und zu spürenden Liebe zwischen zwei Menschen und gleichzeitigen Ablenkung, denn die Welt sei ja ansonsten nur schlecht. Jeden Tag gäbe es schlimme Nachrichten und er selbst wüsste das sehr genau, denn schließlich habe er den ganzen Tag den Hörfunk im Wagen laufen. Seit heute Morgen zum Beispiel gäbe es die Nachricht, dass Osama bin Laden getötet worden sei. „Sind wir jetzt sicherer? Oder schlagen die Mitglieder der Terrorgruppe nun zurück?“ waren nur zwei der Fragen, die kurz angerissen wurden bevor er zu der schön geschmückten Westminster Abbey zurückgekehrte.

Da war sie wieder – die royale Realität und die Gründe, dich mich aus dieser gern flüchten lassen. In diesem Moment in ein Zitat von Annemarie Pieper:

Das Rätsel Mensch entzieht sich wissenschaftlichen Lösungen.

Und in weitere Fragen um Freiheit, Liebe und Macht und deren Verbindung zueinander. Dem ‚Gut‘ und ‚Böse‘ und bestimmten Verhaltensmustern, die diese jeweils auszeichnen und warum sich Menschen durch etwas ‚Gutes‘ – wie zum Beispiel die Liebe am oben gezeigten Beispiel – instrumentalisieren lassen bzw. welche Kraft es erfordert, bestimmte Mechanismen in gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu führen?


Angeregt durch den Text „Let’s talk about love!“ von Antje Schrupp komme ich mal wieder nicht aus dem Nachdenken raus. Was ist es denn nun eigentlich, was so viele Denker_innen über Jahrtausende hinweg beschäftigt und noch immer nicht hat greifbar werden lassen? Trotz der unterschiedlichen (wissenschaftlichen) Perspektiven und Blicke auf die Liebe findet diese keine Allgemeingültigkeit. Glücklicherweise wie ich finde, denn was Liebe eigentlich ist kann erst einmal nur jede_r einzelne für sich beschreiben und sollte gänzlich unerforscht bleiben.

Interessant wird es dann, wenn hinterfragt wird welche gesellschaftlichen Strukturen und sonstigen Vorgaben den individuellen Beschreibungen zugrunde liegen.

Denn hat Mensch die Liebe gefunden, mündet sie häufig in eine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft. Mit der Freiheit sich für einen Menschen lebenslang entscheiden zu können setzt mensch jedoch einen rechtlichen Rahmen und bindet sich. Diese Freiheit aufgegeben stellt sich nun die Frage wie die Liebe in der Institution überlebt und dem Kampf gegen die Flüchtigkeit und Substanzlosigkeit entgegengetreten wird. Selbst die geführte Beziehung in der Lebensabschnittsgefährtschaft wirft diese Fragen auf, so dass der Schutzhafen nicht einmal Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft heißen muss, sondern als eine variable Ausformung des Treuemythos beschrieben werden kann.

Nur allzu häufig wird in einem von Sicherheitsdenken geprägten Leben in der gelebten Liebe übersehen, dass es für Küsse keine Verträge gibt und Träume keine Versprechen sind. Folglich muss Liebe etwas anderes sein. Etwas was sich außerhalb der Rahmenbedingungen, die durch eine Mehrheitsgesellschaft vorgegeben und durch Gesetze bestärkt werden, bewegt. Wohl aber müssen diese Rahmenbedingungen ständig neuen Entwicklungen und allgemeinen Auffassungen von Gesellschaft angepasst werden. Denn alles L(i)eben geht weiter.

Liebe ist darin vor allem eins: grenzenlos. In dieser Grenzenlosigkeit ist sie zwar individualistisch und eine persönliche Angelegenheit, jedoch ebenso (rechts)politische und gesellschaftliche Kategorie. Mit Blick auf das konkrete Beispiel neuer Familienformen aber auch insbesondere der Institution der Ehe als solche und ihrer Verankerung im Grundgesetz muss zumindest meiner Meinung nach die Liebe in einen öffentlichen Aushandlungsprozess eingebunden werden. Womit ich die Liebe – will mensch sie als Kategorie heranziehen – in einem zeitlichen auf Veränderung reagierenden Kontext sehe.

Interessant ist ebenso, dass während ich meine Gedanken dazu niederschreibe merke, dass ich wenn es um meine individuelle Empfindung von Liebe geht keine theoretische Annährung brauche. Dass ich merke wenn sie da ist und einschlägt. Ganz von allein und ohne jede Auseinandersetzung. Und das ich jetzt verstehe was Antje Schrupp mit ihrem Text eigentlich sagen wollte.


Zwei Beiträge aus der letzten Woche treiben mich schon wieder in pornografische Gedanken. Oder so ähnlich.

Jedenfalls ließ sich auf Spiegel Online die Mitteilung finden, dass der weltweit erste Pornofilm im 3-D-Format in Hongkong erfolgreicher gestartet ist als der Hollywood-Schlager „Avatar“. Auch wenn ich mir nicht einmal vorstellen mag wie sich ein nackter Hintern oder gar anderes sich bewegendes Körpermaterial in schwindelerregender Nähe quasi direkt vor meiner Nase befinden soll, eröffnet dieser offenbar neu entdeckte Markt mit Blick auf den Zuschauer_innenrekord völlig neue Möglichkeiten für die Pornoindustrie.

Nun wäre eine Gleichsetzung dieses scheinbar mit Inhalt gefüllten Filmes mit einem billigen Pornostreifen natürlich anmaßend, da die 3-D-Inszenierung an einen Klassiker der erotischen chinesisichen Literatur angelehnt ist. Dennoch werden Darstellungen bekanntlich subjektiv empfunden und nicht zuletzt die Frage nach dem erträglichen Maß vermittelter Geschlechtsstererotypen oder menschenverachtender Zurschaustellung in erster Linie von jedem einzelnen beantwortet. Der kurze Blick in den Trailer hat mich jedenfalls nicht überzeugt. Der Film lockt dennoch laut dem oben genannten Bericht viele unterschiedliche Menschen in Scharen in die Kinos und lässt sogar Besucher_innen aus dem Zensur belegten China mit eigens dafür eingerichteten Reiseunternehmen anreisen.

Die zweite Nachricht betrifft die Schauspielerin Sıla Şahin, die sich für den Playboy fotografieren ließ. Neben dem Enthüllen ihres Körpers gab sie ein Interview und bezog sich – auf ihre Motivation angesprochen – vor allem darauf, dass sie die erste Türkin auf einem Playboy-Titel sei und die Fotos als ein Mittel der Befreiung von den kulturellen Zwängen ihrer Kindheit betrachte. Ihre Eltern wüssten allerdings noch nichts davon. Mit Spannung mag manch eine_r die Entwicklungen um sie, ihre Ängste und ihre Familie in den Boulevard Medien verfolgt und mal wieder die vielleicht längst schon vergessene Daily Soap „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ in das vorabendliche Fernsehgeschehen eingebunden haben. Die dahinter vermutete PR-Strategie brachte ihr jedenfalls Spott und Häme und ihre „Brüste mit Migrationshintergrund“ eine vermeintliche Einordnung in die gesellschaftliche Diskussion über Migration, Islam und den Stellenwert der Frau. So war darüber hinaus in der ZEIT von Adam Soboczynski Folgendes zu lesen:

Man ahnt, welche Wendung die Islamdebatte nimmt: Das westliche Dogma der Enthüllung, das durch ermüdende Bilderwut sich seiner befreienden Wirkung entledigt hat, eine Emanzipation, die in Pornografie umgeschlagen ist, eine Aufklärung, die in Gegenaufklärung mündete, gelten fatalerweise als die besten Waffen im Kulturkampf gegen den Islam.

Auch Aktfotos als eine Form von Befreiung im jeweiligen Kontext (will mensch sie als solche überhaupt verstehen) münden zwangsläufig in Vermarktung und Verbreitung durch Zeitschriften, Fernsehsender oder Internet. Der Wille und Wunsch nach Konsum ist da und das zahlreich. Vielleicht mehr denn je mit Blick auf die erleicherten Zugangsmöglichkeiten. Ich bezweifle, dass eine auf Aufklärung gerichtete Debatte dadurch überhaupt angeregt werden kann beziehungsweise soll.

Mit Blick auf die Pornoindustrie wünsche ich mir jedenfalls noch immer die Umsetzung von sexpositiver Darstellung weiblicher Lust, das Aufzeigen vielfältiger sexueller Ausdrucksweisen und ein maßgebliches Mitwirken von für den Themenbereich sensibilisierten ‚Frauen‘ bei der Filmproduktion als Mindestvoraussetzungen (zu den weiteren >> Kriterien für das PorYes – Label). Ein weiteres Ergebnis dann auch gerne weltweit verbreitet und vermarktet und gezeigt in einem Kinosaal auf Großbildleinwand natürlich im 3-D-Format.


Neulich hatte ich ein Gespräch bei dem mir mal wieder von einer Frau berichtet wurde, die sich durch das Aufhängen von Jahreskalendern ihrer männlichen Kollegen, auf denen nackte Frauenkörper abgebildet werden, belästigt fühlt. Seit mehreren Jahren arbeitet sie in einem von Männern dominierten Berufsfeld und wird ständig mit pornographischen Darstellungen konfrontiert. Anfangs versuchte sie darüber hinwegzusehen, irgendwann beschwerte sie sich und erläuterte, dass sie die Darstellungen als sexuell herabwürdigend und beleidigend empfindet. Die Kollegen erklärten ihr allerdings, dass dies ja durchaus als Kompliment zu verstehen sei. Sie würden Frauenkörper einfach schön finden und deswegen täglich auf diese schauen wollen. Geändert hat sich nichts außer dass die Situation neben der ein oder anderen zweideutigen Bemerkung für sie unerträglich geworden ist.

Diese Situationbeschreibung soll weder als Grundlage zur Verallgemeinerung dienen noch Verhaltenweisen bestimmten Geschlechtern zuschreiben. Sicherlich lassen sich auch nackt abgebildete biologische Männerkörper an Wänden finden und/oder wiederum andere, die sich dadurch belästigt fühlen. Fakt ist, dass der Mensch zum Objekt degradiert und auf biologische Geschlechtsmerkmale reduziert wird, so dass mensch sich durch das Aufhängen von pornografischen Bildern und Fotos von Pin-Up Girls zum Beispiel in Form von Kalendern diskriminiert fühlt.

Sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz

Dennoch habe ich dieses Beispiel gewählt, um zu unterstreichen, dass sexuelle Belästigungen eine der häufigsten Formen von Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz ist und mich gefragt, was denn eigentlich das im Jahr 2006 in Kraft getretene Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in diesem Zusammenhang zu bieten hat.

Nun heißt es ja immer so schön, dass das AGG grundsätzlich zum Ziel hat, Benachteiligungen aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, des Alters, der Weltanschauung, der sexuellen Identität, einer Behinderung oder der Religion zu verhindern und zu beseitigen. Um Rechte nach dem AGG geltend machen zu können, ist allerdings das Vorliegen einer Benachteiligung erforderlich. § 3 Abs. 4 des Gesetzes stellt die sexuelle Belästigung der Benachteiligung gleich und stellt klar, dass ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehört, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von zum Beispiel Erniedrigungen oder Entwürdigung gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Der juristische Begriff „pornografische Darstellungen“ unter der Lupe

Mal genauer hingesehen erfasst der Begriff „pornografische Darstellungen“ die Darbietung vergröbernder, verzerrender Darstellungen der Sexualität ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen. Die an Arbeitsplätzen verbreiteten Kalender mit Pin-up-Girls erfüllen deshalb nicht den Tatbestand einer sexuellen Belästigung (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, AGG Kommentar, § 3 Rn. 58).

Dabei handelt es sich jedoch um einen engen strafrechtlichen Begriff, so dass vereinzelt und zu Recht darauf verwiesen wird, dass eine Zurschaustellung sexueller Inhalte bereits dann unzulässig ist, wenn sie für Betroffene unerwünscht erfolgt (vgl. ErfK/Schlachter, AGG, § 3 Rn. 18).

Danach kann das Aufhängen von pornografischen Bildern und Pin-Up-Kalendern unter Umständen eine sexuelle Belästigung nach dem AGG darstellen und Schadensersatzansprüche auslösen. Zu diesem Themenbereich ist bisher keine Rechtsprechung ergangen und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung besteht Uneinigkeit über den Umgang mit solchen Fällen.

Keine Rechtssicherheit in diesem Bereich

So wird es wieder einmal Sache der Gerichte sein, über diese Frage der sexuellen Belästigung im AGG-Kontext zu entscheiden und die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen, die dann ein weiterer Schritt in Richtung diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld (ausgehend von der Perspektive der Verrechtlichung dieses Bereichs) sein könnte. Dazu müsste sich aber neben einer Kläger_in auch ein_e Anwält_in finden, die sich gemeinsam der Rechtsunsicherheit zum Trotz dem Problem annehmen.


Da ist der Mensch mit dem perfekten Lebenslauf, der zielstrebig nach der Schule den Weg zu einer Spitzenuniversität sucht und das Studium innerhalb kürzester Zeit und mit sehr gutem Abschluss und dazu noch mit vielen (Auslands-)Praktika hinter sich bringt. Geschmückt mit guten Noten, politischem oder wahlweise ehrenamtlichem Engagement, möglichst vielen Fremdsprachenkenntnissen und Hobbies wie die regelmäßige Teilnahme an einem Marathon begibt sich die Nachwuchskraft nun auf Jobsuche. Vergeblich – wie es neuerdings immer wieder heißt.

Denn die Rede ist von einer Gegenbewegung. Unternehmen suchen heute etwas anderes. Gesucht werden Menschen mit Persönlichkeit, „vielfältige Charaktere statt Inselbegabung“, Kreativität und soziales Geschick. Genau das fehle nämlich hochbezahlten Arbeitstieren. Medial wird daraus auch kein Hehl gemacht (vgl. „Lebenslauf: Bewerber aus dem Mutantenstadl“ von Jochen Mai). So wird auch gerne mal erklärt was Karrieristen fehlt:

Der Keim der Innovation steckt eben oft im Unkonventionellen. Gute Ideen entstehen, weil jemand quer denkt, rumspinnt, fantasiert oder träumt. Dieses Verhalten ist dem Karrieristen fremd. Er hat gelernt, seine Ziele geradlinig zu verfolgen, mit dem Kopf durch die Wand. Oft sucht er dabei aber nicht das Wohl des Unternehmens, sondern sein eigenes.

Die Unternehmen brauchen jetzt echte Persönlichkeiten

Da mag sich jetzt wohl manch einer rebellisch auf die Schulter klopfen. Aber zu früh gefreut. Werden nicht lediglich neue Förmchen gegossen? Schließlich muss sich mensch auch mal die Frage stellen warum Unternehmen nun echte Persönlichkeiten (was auch immer das sein soll) brauchen. Langsam aber sicher scheint in der Arbeitswelt irgendwie dann doch angekommen zu sein, wohin stromlinienförmige Leistungserbringung so führen kann. Aus der Sicht des Unternehmes jedenfalls handelt der Karrierist nur zum eigenen Wohl. Das mache ihn illoyal, denn je höher ein Mitarbeiter aufsteigt, desto mehr sei er Visitenkarte des Unternehmens.

Da wären wir also wieder angekommen – in der Profitspirale. Das Unternehmen macht sich Gedanken über sich, die Außenwirkung und den Markt. Und fängt auf einmal an nach Menschen zu suchen, die quer denken, rumspinnen, fantasieren und träumen. Sie hoffen auf nicht nur vom Verstand geleitete, sondern Empathieträger, die gleichzeitig Vorbild sind, ‚Werte‘ leben, dabei verlässlich und stets offen für Neues bleiben. Aus diesen Wünschen wird dann eine sog. Gegenbewegung hergeleitet, die im Grunde nach nichts anderem schreit als nach neuen Vorgaben und Kochrezepten an denen mensch sich abarbeiten kann. Nur das es diesmal dann doch etwas schwieriger zu werden scheint, denn ‚Persönlichkeit‘ kann nirgends ‚gelernt‘ werden.

Aber auf was kommt es denn wirklich an?

Auf was es wirklich ankommt? Keine Ahnung. Kann die Frage in diesem Kontext überhaupt beantwortet werden solange sich der Einzelne nicht die Zeit genommen hat, sich selbst ein Stück weit kennenzulernen? Resultieren aus einer Auseinandersetzung mit sich aber vor allem mit der Welt nicht zwangsläufig Bereiche, die einen stark interessieren und die einen durch das Interesse geleitet befähigen mit einer Form von Hingabe eine (Arbeits)Aufgabe zu erledigen? Jedenfalls hatte ich irgendwo mal gelesen, dass – sinngemäß wiedergegeben – „Persönlichkeit“ auf einem Gebiet nur der hat, der rein der Sache dient. Kommt der Rest dann nicht von selbst? Und hat das dann mit Fragen der Lebenslaufgestaltung überhaupt noch etwas zu tun?

Ich jedenfalls bin noch immer nicht schlauer, aber gespannt darauf was nach dem „vielfältigen Charakter statt Inselbegabungs“-Lebenslauf als Nächstes kommt.